Was davor geschah:
Die Arbeiterschaft verdiente wenig Geld, arbeitete lang und konnte sich kaum den Lebensunterhalt leisten. Und organisierte sich …
Bild: Borsigs Eisengießerei (Archiv Gothaer Tivoli)
Schwere Zeiten
Ab der Reichsgründung 1871 waren alle Strömungen der Arbeiterbewegung der Verfolgung ausgesetzt. Reichskanzler Otto von Bismarck unterdrückte die Arbeiterbewegung, weil sie die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse wollte.
1873 setzte eine Wirtschaftskrise ein, welche die Not der Arbeiter*innen verschärfte.
Bild: Berliner Proletarierwohnung Mitte 19. Jh. (Archiv Gothaer Tivoli)
Es gab zwei Richtungen der Arbeiterbewegung:
Warum Gotha als Treffpunkt?
Gotha lag zentral. Außerdem war das Vereins- und Versammlungsrecht liberaler und ließ, anders als in Preußen, Meinungsfreiheit in einem gewissen Rahmen zu.
Bild: Das Gothaer Tivoli um 1900 (Archiv Gothaer Tivoli)
Der Vereinigungsparteitag
Vom 22. bis 27. Mai 1875 trafen sich im Saal des Gothaer Tivoli 74 Delegierte des ADAV und 56 Delegierte der SDAP und gründeten die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), die spätere SPD.
15.322 Mitglieder des ADAV plus 9.121 Mitglieder der SDAP gleich 24.443 Mitglieder der neuen SAP.
Das
gemeinsame
„Gothaer Programm“
Die
Sozialistische Arbeiterpartei
Deutschlands (SAP)
forderte also:
1.
Ausdehnung der politischen Rechte und Freiheiten.
Bild: Banner der Humanität (LATh-StA Gotha: Regierung Erfurt Nr. 493)
2.
Eine progressive Einkommensteuer statt indirekter Steuern, die das Volk belasten.
Bild: Ausschnitt aus einem Flugblatt (Stadtarchiv Gotha 8.9.1-1605)
3.
Unbeschränktes Koalitionsrecht. Gewerkschaften sind legal.
(Wir wollen streiken dürfen!)
Bild von Niek Verlaan auf Pixabay
4.
Normalarbeitstag, Verbot der Sonntagsarbeit
Bild: „8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Muse, 8 Stunden Schlaf“ (LATh-StA Gotha, Regierung Erfurt Nr. 498)
5.
Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit
Bild: Kinderarbeit (Archiv Gothaer Tivoli)
6.
Schutzgesetze für Leben und Gesundheit der Arbeiter, bessere Arbeiterwohnungen, Überwachung der Bergwerke, Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie durch von Arbeitern gewählte Beamte, Haftpflichtgesetz
Bild: Gothaer Waggonfabrik (Sammlung Matthias Wenzel)
7.
Regelung der Gefängnisarbeit
Bild: Gefängnisinsassen (LATh-StA Gotha, Staatsanwaltschaft Gotha Nr. 79, Nr. 15)
8.
Volle Selbstverwaltung für alle Arbeits- und Unterstützungskassen
Bild: Statut der Unterstützungskasse der Schuhmacher (Stadtarchiv Gotha: 1.1/12390, Bl. 30)
Kritik des Gothaer Programms
von Karl Marx
genannt „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“
Karl Marx schrieb April/Mai 1875 die Kritik des Gothaer Programms, die erstmals 1891 in der Theoriezeitung „Die Neue Zeit“ erschien.
„Es war mir keineswegs ein Genuss, solch langen Wisch zu schreiben. Doch es war notwendig, damit später meinerseits zu tuende Schritte von den Parteifreunden, für welche diese Mitteilung bestimmt ist, nicht missdeutet werden.“
und weiter…
„Abgesehn davon ist es meine Pflicht, ein nach meiner Überzeugung durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm auch nicht durch diplomatisches Stillschweigen anzuerkennen.“
(Marx in einem Brief an Wilhelm Bracke 5. Mai 1875)
Marx dachte, dass die Vereinigung der Arbeiter zu teuer erkauft sei, das Programm nichts taugt und durch die Übernahme zu vieler Ideen von Lassalle die Arbeiterbewegung an Schwung verlieren würde.
Beispiele für Marx‘ Kritik
Die Arbeit ist nicht die Quelle allen Reichtums (wie im Programm behauptet). Auch die Natur ist Quelle. Wenn nur die Arbeit genannt wird, sieht man nicht, dass die Eigentümer der Rohstoffe (die Unternehmer), die Arbeiter abhängig macht und damit diese nur mit seiner Erlaubnis arbeiten können. Sie können also nur soviel Reichtum gewinnen, wie der Unternehmer sie lässt.
Ehernes Lohngesetz von Lassalle – der Arbeitslohn pendelt sich immer auf das Existenzminimum ein. Wenn der Lohn darübersteigt, dann gibt es mehr Arbeiter, deswegen sinkt der Lohn wieder. Gibt es weniger Lohn, gibt es auch weniger Arbeiter, also wird der Lohn wieder steigen. Lösung nach Lassalle: Veränderungen im Parlament, deshalb Wahlrecht erweitern und Mehrheit für die Arbeiter
Kritik Marx: alles Quatsch, Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft durch Arbeitskampf der Gewerkschaften – STREIK
Nach Marx ist eine Neuordnung der Gesellschaft nicht ohne Kampf und Revolution möglich.
Resümee
Der Gothaer Parteitag 1875 schuf die Grundlage der Vereinigung der Kräfte der Arbeiterbewegung, die so zu einer Massenbewegung anwachsen konnte und damit die Lage der Arbeiter in Deutschland verbesserte.
Nur so konnten Löhne wachsen, die Einführung der Kranken- und Unfallversicherung 1883/84 und die Alters- und Invalidenversicherung 1889 erreicht werden.