Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur
Am 3. April 1945 marschierten amerikanische Truppen in Gotha ein. Die Herrschaft der Nationalsozialisten hatte ihr Ende gefunden. Am 8. Mai 1945 kapitulierte Nazi-Deutschland.
In Gotha bildete sich Anfang Mai wie in vielen Orten Thüringens ein Antifaschistisches Komitee. Hierzu gehörten neben Mitgliedern der SPD und KPD auch Anhänger der früheren bürgerlichen Parteien. Das Komitee übernahm die Zusammenarbeit mit der Militärregierung, die Verwaltung der Stadt und die Leitung der Betriebe, vor allem um die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Als Oberbürgermeister der Stadt wurde zunächst Dr. Günther Gottschalk und als Bürgermeister Hugo Meister (KPD) eingesetzt.
Am 10. Juni 1945 hatte die sowjetische Militäradministration (SMAD) in Berlin mit dem Befehl Nr. 2 die Bildung von antifaschistischen Parteien erlaubt. In Gotha gründeten sich vielerorts Ortsvereine der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der CDU. Ihre Vertreter nahmen wie SPD und KPD an den Sitzungen des neu gebildeten Blocks der antifaschistischen und demokratischen Parteien ab August 1945 teil.
Am 2. Juli 1945 rückte die Sowjetische Armee in den Kreis und die Stadt Gotha ein.
Hermann Brill – ein Gothaer Sozialdemokrat wird erster Regierungspräsident von Thüringen
Hermann Brill stammte aus Gräfenroda, seine Familie lebte in Ohrdruf und er war nach dem Ersten Weltkrieg bis 1920 als Mitglied der USPD in der Kommunalpolitik Gothas tätig. Danach war er Mitglied des Thüringer Landtages und des Reichstages. 1922 kehrte er zur SPD zurück. Während der nationalsozialistischen Diktatur war er im Widerstand und wurde inhaftiert. Am 27. April 1945 erfolgte seine Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald. Er wurde von der amerikanischen Militärregierung als „Attaché of the Military Government“ mit dem Aufbau der Kommunalverwaltung in Weimar beauftragt. Am 7. Mai 1945 folgte die Übertragung der Geschäftsführung des Thüringer Staatsministeriums. Wenige Tage später wurde Brill kommissarischer Leiter des Ministeriums des Innern. Dort arbeitete er sofort einen Plan zum Aufbau der Verwaltung in der Provinz Thüringen aus, den er im amerikanischen Hauptquartier in Frankfurt/M. vortrug. Damit war Thüringen das erste Gebiet im besetzten Deutschland, dass sehr frühzeitig eine Umstrukturierung der Verwaltung in Gang brachte.
Im Mai 1945 gründete er den Bund demokratischer Sozialisten, indem SPD und KPD zusammenarbeiten sollten. Diese organisatorischen Überlegungen gehen auf das berühmte Buchenwalder Manifest zurück, an dem Hermann Brill führend mitgearbeitet hatte.
Am 9. Juni 1945 ernannte Colonel Azel F. Hatch Hermann Brill zum vorläufigen Regierungspräsidenten der Provinz Thüringen. Brill glaubte zu diesem Zeitpunkt noch daran, alle antifaschistischen Kräfte zum Aufbau Deutschlands zu vereinen: bürgerliche Demokraten, wie auch Kommunisten und Sozialdemokraten. Kernpunkt seiner Arbeit war unter anderem die konsequente Entnazifizierung der Behörden. Dazu erließ er Richtlinien, die zu den konsequentesten in Deutschlands gehörten. Diese wurden aber später nur noch abgeschwächt umgesetzt.
Am 3. Juli 1945 übernahm die sowjetischen Militärregierung Thüringen und setzte Hermann Brill bereits am 16. Juli als Regierungspräsident ab. Sein Nachfolger wurde Rudolf Paul. Brill war bereits in den 1920er Jahren mit den Kommunisten aneinandergeraten. Vor allem im Deutschen Oktober 1923 hatte er die Entwaffnung der Proletarischen Hundertschaften der KPD unterstützt und geriet deshalb mit dem für Thüringen zuständigen KPD-Funktionär Walter Ulbricht aneinander.
Brill musste aus Thüringen Ende 1945 fliehen, da die Kommunisten und die sowjetische Besatzungsmacht, die eigentlichen Machthaber, ihn politisch angriffen und ausschalten wollten. Er wurde auch mehrmals verhört und verhaftet. Seine neue Heimat wurde Hessen. Hier schlossen sich alle aus Thüringen politisch vertriebenen Sozialdemokraten zum „Landesverband der SPD Thüringen“ zusammen. Damit verbunden war die Hoffnung, eines Tages wieder nach Thüringen zurückkehren zu können. Brill wurde von 1946 bis 1949 Chef der Hessischen Staatskanzlei. 1948 nahm er am Verfassungskonvent in Herrenchiemsee teil und war maßgeblich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschlands beteiligt. Er wurde später Abgeordneter des ersten Deutschen Bundestages.
Die Vereinigung von SPD und KPD zur SED 1946
Die Vereinigung von SPD und KPD zur SED 1946
Mit dem Zweiten Weltkrieg endeten 1945 auch zwölf Jahre nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Die Wiederentstehung von Parteien und Gewerkschaften war in dieser Zeit in starkem Maße vom unmittelbaren Einfluss der Besatzungsmächte bestimmt. Das galt im Besonderen für die sowjetische Besatzungszone und die Entwicklung der SPD und KPD. Schlussfolgernd aus dem Scheitern der Weimarer Republik sowie den Erfahrungen des Nationalsozialismus entstand in den ersten Wochen und Monaten nach der NS-Diktatur eine spontane Einheitswelle unter Kommunisten und Sozialdemokraten. Auch in Thüringen gab es eine anfängliche Bereitschaft der SPD zur Kooperation mit der KPD. Demgegenüber war die KPD zunächst reserviert gegenüber einer Einheitspartei. Erst als in der sowjetischen Besatzungszone deutlich wurde, dass die SPD deutlich stärker in der Bevölkerung verankert war als die KPD, änderte sich ihre Meinung. Jedoch folgten sehr bald Ernüchterung und Desillusionierung. Den Kernpunkt des überall anzutreffenden sozialdemokratischen Unmuts bildete das Verhalten der Kommunisten und der Besatzungsmacht bei der Besetzung von Ämtern in den örtlichen Verwaltungen. Zudem waren bereits viele ihrer führenden Mitglieder wie Hermann Brill zur Flucht in die Westzonen gezwungen worden.
Von einer Gleichberechtigung beider Parteien konnte also keine Rede mehr sein. Bei der großen Mehrheit der Mitglieder dominierte trotz der Befürwortung der Idee der Einheitspartei die Skepsis gegenüber dem von der KPD vorgegebenen Weg. Es folgten sowohl eine forcierte kommunistische Kampagne und unter beträchtlichem Propagandaaufwand in Thüringen, als auch eine vielfältige Einflussnahme der Sowjetischen Militäradministration mit dem Ziel, die Fusion auf Länderbasis bis Mai 1946 zu vollziehen.
Die Thüringer Bezirksleitung der KPD forderte auf ihrer Sekretariatssitzung am 24. Januar 1946 die unmittelbare und sofortige Vereinigung. Am 6. April fanden deshalb in Gotha Tagungen der beiden Landesleitungen statt, auf denen der Beschluss über die Vereinigung der beiden Parteien in Thüringen gefasst wurde.
Der Vereinigungsparteitag der SPD und KPD Thüringens fand am 7. April 1946 in Gotha in der Stadthalle statt. Die Hoffnung und der Wille vieler verbliebener Sozialdemokraten, den Kurs der SED als unabhängige und demokratische Partei maßgeblich mitzugestalten, ging nicht auf. Diese Erkenntnis gewannen viele zu spät. Ein Neuanfang wurde erst 1989 möglich.
„Es lag was in der Luft“ – Der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953
„Es lag was in der Luft“ – Der Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953
Der DDR-weite Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 hat auch an Gotha Spuren hinterlassen. Bereits am 12. Juni war es in der Dreherei des VEB Abus (später Getriebewerk) zu einem mehrstündigen Normen-Streik gekommen. Am 16. Juni legten dann die Bauarbeiter beim Kreisbauhof die Arbeit nieder. Auslöser waren wie überall die neue als ungerecht empfundene Normenfestsetzung und eine Senkung der Löhne seitens der Betriebsleitung. Den Belegschaftsmitgliedern wurde daraufhin zugesagt, dass eine Überprüfung von Seiten der Betriebsleitung in Verbindung mit dem Bezirksvorstand Bau und Holz durchgeführt würde.
Vor allem im VVB LOWA (später VEB Waggonbau) kam es zu massiven Arbeitsniederlegungen, die auch mit politischen Forderungen verknüpft waren. Am 18. Juni streikten 1800 Arbeiter. Dabei wurden unter anderem der Sturz der DDR-Regierung, die Aufhebung des Befehls über den Ausnahmezustand, gesamtdeutsche Wahlen (nach westdeutschem Muster), eine 40-prozentige Preissenkung der Handelsorganisation (HO) sowie die Senkung der Normen gefordert. Die Widerstand der Arbeiter wurden immer hartnäckiger. Erst das Eintreffen der Sowjetarmee, welche mit Transportwagen vor dem Werkeingang vorfuhr, konnte unter Gewaltandrohung verhindert werden, dass ein Demonstrationszug in die Stadt nicht stattfand.
Am 19. Juni legten nochmals 1300 LOWA-Mitarbeiter die Arbeit nieder, gearbeitet haben lediglich 27,7 Prozent der Belegschaft. Dies musste sogar in der 1988 erschienenen Betriebschronik zumindest andeutungsweise wie folgt eingestanden werden: „Leider ließ sich auch ein Teil der Belegschaft in Verkennung der tatsächlichen Zusammenhänge von den Feinden der Arbeiterklasse blenden und legte am 17. Juni 1953 und am 18. und 19. Juni für einige Stunden die Arbeit nieder.“
Umgehend nach den Juniaufständen 1953 wurden – wie in der gesamten DDR – unter der Losung „Was wir schaffen, wissen wir zu schützen“ eine Hundertschaft der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ im Werk gebildet.
Eröffnung der Nationalen Gedenkstätte Tivoli 1956
Eröffnung der Nationalen Gedenkstätte Tivoli 1956
Nachdem die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 1950 anlässlich des 75. Jahrestages des Vereinigungskongresses eine Gedenktafel mit der Inschrift „Nur die ideologische und organisatorische Einheit der Partei der Arbeiterklasse führt zu Frieden, Demokratie und Sozialismus“ am Gebäude hatte anbringen lassen, reifte kurz darauf der Gedanke, in dem historischen Gebäude eine Gedenkstätte einzurichten.
Dafür stand der bereits 1953 ausgelobte Künstlerwettbewerb, an dem sich unter anderem Hermann Kohlmann (1907-1982) und der Gothaer Kunstmaler Leopold Eichhorn beteiligten. Beide schufen Ölgemälde, auf denen eine Szene von 1875 mit den wichtigsten Protagonisten dargestellt ist. Ersteres befindet sich im Bestand des Deutschen Historischen Museums in Berlin, letzteres hängt als Leihgabe der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha im historischen Tivoli-Saal.
Nachdem die Stadt Gotha das Gebäude von den Privateigentümern erworben hatte und die notwendigen Umbaumaßnahmen abgeschlossen waren, konnte am 21. April 1956, dem 10. Jahrestag der SED-Gründung, die „Nationale Gedenkstätte Tivoli“ eröffnet werden. Anwesend waren Parteiveteranen wie August Frölich (ehemals SPD) und Fritz Heilmann (ehemals KPD), aber auch eine Delegation westdeutscher sozialdemokratischer und kommunistischer Genossen.
Deren Eintrag ins Gästebuch der Gedenkstätte lautete: „Möge sie dazu angetan sein, bald in ganz Deutschland die geeinten Kräfte der Arbeiter zur Entfaltung zu bringen, zum Wohle unseres Volkes.“
Mit der Bezeichnung „Nationale Gedenkstätte“ war jedoch von Anfang an die gesamtdeutsche Bedeutung des Hauses unterstrichen worden.
Die erste Ausstellung beschränkte sie noch auf wenige Schautafeln und Vitrinen, die im schmucklosen vormaligen Sitzungssaal der Gothaer Stadtverordneten aufgestellt wurden. Beides sollte sich erst fünf Jahre später anlässlich des 15-jährigen SED-Jubiläums ändern.
Die Geschichtsschreibung und Gedenkkultur im Tivoli, wie in der gesamten DDR folgte einem kommunistischen Geschichtsbild, das maßgeblich herauszuarbeiten versuchte, die historische Notwendigkeit der SED-Herrschaft zu belegen. Dabei würdigte es Sozialdemokraten und andere demokratische Akteure nur, wenn es passte. Wie zu erwarten, passte es meistens nicht. Die politische Inszenierung, Instrumentalisierung und Ritualisierung der Geschichte der Arbeiterbewegung begleitete vor allem Jugendliche und Erwachsene in der Schule wie im Arbeitsumfeld von der „Wiege bis zur Bahre“. Mit der nachvollziehbaren Folge eines sich verstärkenden Desinteresses und der generellen Abwehrhaltung gegenüber schlecht gemachter und leicht zu identifizierender Indoktrination und Manipulation. So wurde das Wissen um die Arbeiterbewegungsgeschichte gefälscht und das Interesse an ihr für mehrere Generationen verschüttet.
Der 100. Jahrestag des Vereinigungsparteitages 1975
Der 100. Jahrestag des Vereinigungsparteitages 1975
1961 wurde die Ausstellung in der „Nationalen Gedenkstätte Tivoli“ umgestaltet und erweitert. Außerdem wurde der zuvor jahrzehntelang als Sitzungssaal der Gothaer Stadtverordneten genutzte Saal wieder in seinen historischen Zustand zurückversetzt.
Das 1975 anstehende 100-jährige Jubiläum war nicht nur der Anlass, die Ausstellung erneut umzugestalten. Damals wurde auch ein Flachbau mit einem riesigen Schornstein an der Gartenseite angebaut, die jahrzehntelang den Gebäudekomplex verschandelten und größere Bauschäden verursachten. Ziel war damals gewesen, noch mehr Ausstellungsfläche zu schaffen.
Das Jahr 1975 stand in Gotha eigentlich im Zeichen der 1200-Jahrfeier der Ersterwähnung der Stadt. Die Feierlichkeiten wurden jedoch am 28. April mit einer Festveranstaltung anlässlich des 100. Jahrestages der Versendung der von Karl Marx verfassten „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ und der Eröffnung der umgestalteten Arbeitergedenkstätte eingeleitet.
Der Festakt des Zentralkomitees und der Bezirksleitung der SED fand „an historischer Stätte“ im „Klubhaus der Einheit“ statt. Diesen Namen trug die vormalige Stadthalle, wo am 7. April 1946 der SED-Landesverband Thüringen gegründet worden war, seit 1969.
Das SED-Bezirksorgan „Das Volk“ berichtete gleich anderntags darüber auf der Titelseite unter der Überschrift „Der Marxismus-Leninismus – Kompaß für die ganze Menschheit“. Hauptredner war das ZK-Mitglied und Leiter der Abteilung Propaganda Kurt Tiedke.
Wie auch schon früher diente vor allem die Zentrierung und Auslegung von Marx‘ Randglossenschrift den kommunistischen Propagandisten vornehmlich zur Agitation gegen den „Sozialdemokratismus“ einst. Immerhin regierte nun in Westdeutschland die SPD unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt seit 1969.
Das historische Ereignis – der Vereinigungsparteitag – trat gegenüber der ideologischen Propaganda immer mehr in den Hintergrund.
Die in zweijähriger Bauzeit neugestaltete Gedenkstätte „Gothaer Parteitag 1875“ wurde der Öffentlichkeit übergeben. Kurt Tiedke betonte bei der Besichtigung, dass sie zu einer „Stätte der marxistisch-leninistischen Bildung“ werden möge. Zu diesem Zweck mussten fortan Generationen von Gothaer Schülern der 8. Klassen im Rahmen ihrer Jugendstunden das Tvoli besuchen, das nun jedoch zumindest offiziell nicht mehr so hieß.
Das Jubiläum „100. Jahrestag der Marx’schen Programmkritik und des Gothaer Vereinigungskongresses“ war 1975 auch der Anlass für die Herausgabe eines aus drei Briefmarken bestehenden Streifens gewesen, auf dem neben Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Karl Marx und Friedrich Engels auch das Tivoli als Tagungsstätte abgebildet war.