Weimarer Republik

Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages

Zu den Maßnahmen der Arbeiterregierung in Gotha gehörten wichtige soziale Reformen. Eine jahrzehntealte Forderung der Sozialdemokratie, der 8-Stunden-Arbeitstag, wurde gesetzlich verankert. In Gotha geschah das erstmals in Deutschland per Gesetz am 14. November 1918.

In Berlin verhandelten die Mehrheits-Sozialdemokraten mit Friedrich Ebert an der Spitze, die Gewerkschaften und die Arbeitgeber das Stinnes-Legien-Abkommen, das am 15. November 1918 vorgestellt wurde und den 8-Stunden-Arbeitstag beinhaltete. Am 23. November folgte die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeit.

Die Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn war ein enormer Fortschritt für die Lebensqualität der Menschen.

Im Zuge der wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik wurden Arbeitnehmerrechte aber schnell wieder eingeschränkt. Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns (Zentrum) stellte 1923 eine neue „Verordnung über die Arbeitszeit“ vor, die zwar den 8-Stunden-Arbeitstag nicht generell abschaffte, aber so viele Ausnahmeregelungen vorsah, dass eine längere Arbeitszeit an der Tagesordnung war und die Errungenschaften der Novemberrevolution aushöhlten.

Im Mai 1927 folgte das Arbeitszeitnotgesetz, das ebenso den 8-Stunden-Arbeitstag angriff, weil es längere Arbeitszeit erlaubte. Die Gewerkschaften legten dagegen entschiedenen Wiederspruch ein, da Arbeitslose so keine Chance auf Einstellung hatten.

Gesetzsammlung des Arbeiter- und Soldatenrats Gotha vom 16.11.1918

Quelle: LATh-StA Gotha, StMin Gotha, Dep. II, Loc. 167, Nr. 94, Bl. 3

1919 – Die ersten demokratischen Wahlen in der neuen Republik

Am 16. bis 18. Dezember 1918 fand der erste Reichsrätekongress statt. Die Mehrheit der Teilnehmer stimmte für die Einberufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung, die am 19. Januar 1919 gewählt werden sollte. Der Weg für die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland war geebnet. Einer sogenannten Räteherrschaft nach russischem Vorbild war demnach eine Absage erteilt worden. Auf dem Kongress stimmten allerdings August Merges (Braunschweig) und Otto Geithner (Gotha) für den letzteren, unrealistischen Vorschlag.

Im Vorfeld der Wahlen kam es mehrfach zu Unruhen. Infolge der Weihnachtsunruhen in Berlin trat die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Am 31. Dezember 1918 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Sie ging aus dem Spartakusbund unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hervor. Am 5. Januar 1919 kam es zum sogenannten Spartakusaufstand, der am 11. Januar blutig niedergeschlagen wurde. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden am 15. Januar 1919 von rechtsradikalen Freikorpstruppen ermordet. In Bremen wurde eine Räteregierung gebildet, die zerschlagen wurde.

Die Wahl zur Nationalversammlung fand nach der Wahlordnung vom 30. November 1918 erstmals nach dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht statt. Das Wahlalter wurde von 25 Jahre auf 20 Jahre festgelegt. Erstmals durften auch Frauen und Soldaten wählen. Unter den Wählern waren nun 50 % Erstwähler.

Das Wahlergebnis zeigte eine, wenn auch nicht absolute, Mehrheit für die SPD. Es bildete sich eine Regierung von SPD mit DDP und Zentrum. Die sogenannte Weimarer Koalition nahm ihre Arbeit auf. Die KPD nahm nicht an der Wahl teil, da sie zunächst die Beteiligung an der parlamentarischen Demokratie ablehnte. Am 6. Februar 1919 trat die Nationalversammlung erstmals in Weimar zusammen. Friedrich Ebert wurde zum ersten Reichspräsidenten gewählt.

In Gotha verteilten sich die Stimmen ähnlich, nur die Stimmenanteile der USPD und SPD waren aufgrund der starken Stellung der USPD in der Stadt vertauscht. Die DDP erhielt fast zehn Prozentpunkte mehr als im Reichsdurchschnitt. Linksliberale Einstellungen im Bürgertum waren vorläufig noch sehr stark, was sich im weiteren Verlauf aber schnell ändern sollte.

Das Parteienspektrum der Weimarer Republik (nur große Parteien)

USPD und SPD bestanden weiter in bisheriger Form. Die anderen Parteien gründeten sich neu.

Kommunistische Partei Deutschlands (KPD): Arbeiterpartei, ging aus dem Spartakusbund hervor

Zentrum bzw. Christliche Volkspartei (CVP): katholische Partei, konservativ

Bayrische Volkspartei: Abspaltung vom Zentrum, deutlich konservativer als das Zentrum

Deutsche Demokratische Partei (DDP): ehemalige linksliberale, vor allem bürgerliche Anhänger der Fortschrittlichen Volkspartei und einige Vertreter der ehemaligen Nationalliberalen Partei, Bekenntnis zur Demokratie, strebte soziale und politische Reformen an, suchte nach einer Verständigung mit den Arbeiterparteien

Deutsche Volkspartei (DVP): ehemalige Anhänger der Nationalliberalen Partei, monarchistisch, national, für Privateigentum (gegen jede Art von Sozialisierung)

Deutschnationale Volkspartei (DNVP): Vorgänger rechtsradikale Vaterlandspartei, Konservative und Freikonservative Partei des Kaiserreichs, antisemitisch, monarchistisch, nationalistisch

Thüringer Landbund (TLB): vertrat die Interessen der Landarbeiter und Bauern, teils antisemitisch, konservativ

Wahlergebnisse der Wahl zur Nationalversammlung in Deutschland
Wahlergebnisse der Wahl zur Nationalversammlung – Ergebnisse für Gotha

Ein historischer Tag – Frauen dürfen wählen und gewählt werden

Der Einführung des Frauenwahlrechts im Zuge der Novemberrevolution waren während des Ersten Weltkrieges verstärkte Aktivitäten vorangegangen. Ende 1917 überreichten aus Anlass der anstehenden Wahlrechtsreform bürgerliche und proletarische Frauen dem Preußischem Landtag eine Petition mit dem Titel „Erklärung zur Wahlrechtsfrage“. In dieser hieß es, dass die Frauen aufgrund ihrer Tätigkeiten im Ersten Weltkrieg, die Einführung zumindest des Frauenstimmrechts (also wählen zu dürfen) forderten. Frauen hatten die Arbeit der eingezogenen Männer übernommen und so ihre Fähigkeiten im Dienst der Öffentlichkeit bewiesen. Die Petition wurde abgelehnt. Einen Monat vor Ausbruch der Novemberrevolution gab es eine weitere überparteiliche Initiative. 58 Frauenorganisationen und Frauenrechtlerinnen überreichten Reichskanzler Max von Baden ein Schreiben mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht. An ihrer Spitze standen Marie Juchacz (SPD), Helene Lange (Fortschrittliche Volkspartei) und Gertrud Bäumer (Vorsitzende des BDF). In Berlin kam es anschließend zu einer großen Demonstration.

Die Wahl zur Nationalversammlung als erste Wahl, in der Frauen wählen durften und gewählt werden konnten war also ein historischer Tag für die Frauen. Von vielen Frauen wurde das Frauenwahlrecht begrüßt, von vielen aber auch nicht. Zum Beispiel sah der evangelische Frauenbund die Wahl „nur als ungewollte Pflicht“ an.

Frauen waren zum großen Teil politisch ungebildet. Nur wenige hatten sich in Parteien und in der Frauenbewegung entsprechendes Wissen erworben. Es gab, wie überall in Deutschland, auch in Thüringen zahlreiche, überfüllte Informationsveranstaltungen für die Wählerinnen. Einige Zeitungsaufrufe und Flugblätter richteten sich gezielt nur an die Frauen.

Die Wahl zur Nationalversammlung bekam reges Interesse. 89 % der Frauen gingen wählen. Frauen wählten vor allem bürgerlich konservative, christliche oder auch völkische Parteien und Listen. Die SPD, die jahrzehntelang für das Frauenwahlrecht eingestanden hatte, konnte nicht von der Einführung des Frauenwahlrechts profitieren.

37 Frauen wurden in die Nationalversammlung gewählt. Der Anteil der Frauen unter den Abgeordneten lag aber nur bei etwa 9 %.

„Meine Herren und Damen!“ (Heiterkeit.) „Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat.“

Anfang der Rede von Marie Juchacz am 19. Februar 1919 in der Nationalversammlung in Weimar. Sie sprach als erste Frau in Funktion einer Abgeordneten in einem deutschen Parlament.

Marie Juchacz

Quelle: Fotograf unbekannt, Handbuch der verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung, Weimar 1919, Berlin 1919, 305

Gotha im Jahr 1919

Im Januar 1919 wurde die Verordnung über die vorläufige Regelung der Kommandogewalt der Reichsregierung auf den Weg gebracht. In dieser hieß es, dass die alten Offiziere der Reichswehr auf ihren Posten bleiben und nicht durch Soldatenräte ersetzt werden sollten. In Gotha bestanden eine Sicherheitswehr, eine Sicherheits- und eine Bewachungskompanie der Arbeiter von rund 800 Mann. Die Gothaer Regierung wollte die Einheiten nicht auflösen. Es kam zu Demonstrationen der Soldaten und Arbeiter. Durch Druck der Reichsregierung wurden letztendlich die Arbeiter entwaffnet. Dennoch wurde Gotha am 18. Februar 1919 von Militär unter General Maercker besetzt und zwei Arbeiter verwundet. Das unverhältnismäßige Vorgehen der Reichswehr führte zur Aussprache in der Nationalversammlung. Als Reaktion kam es zum Generalstreik der Arbeiter, der Ende Februar fortgeführt wurde, weil mittlerweile auch die Arbeiter im Bezirk Halle-Merseburg streikten. Es folgte ein Gegenstreik des Gothaer Bürgertums. Am 8. März endeten alle Aktionen.

1919 wurde noch zwei weitere Male in Gotha gewählt: am 23. Februar 1919 die Landesversammlung und am 23. März 1919 die Gothaer Stadtverordnetenversammlung. Bei der Wahl zur Landesversammlung konnte die USPD die absolute Mehrheit erreichen und brachte danach unangefochten mehrere Reformen auf den Weg. Die zehn Sitze der USPD waren überwiegend vom rechten Flügel der Partei besetzt, der die Mitarbeit im Parlament positiv auffasste. Die MSPD erhielt 1 Sitz und die bürgerlichen Parteien zusammen 8. Die ersten Frauen in einem Gothaer Parlament waren Helene König (DDP) und Auguste Drechsel (USPD). Ebenso erhielt die USPD die Mehrheit der Sitze in der Stadtverordnetenversammlung.

Wilhelm Bock trat im Februar 1919 aufgrund von Streitigkeiten mit Otto Geithner von seiner Tätigkeit im Rat der Volksbeauftragten zurück. Bocks Platz übernahm Albin Tenner (linker Flügel der USPD). Der linke Populist Geithner forderte immer noch eine Räteregierung. Er brachte Unruhe in den Ortsverein der USPD Gotha, hatte dabei aber vorerst nicht die Mehrheiten hinter sich. Der Volksbeauftragte Adolf Schauder (linker Flügel der USPD) etwa befürwortete die Wahl einer Landesversammlung, da nicht alle Bevölkerungsgruppen im Arbeiterrat vertreten waren.

Zu den Reformen und Beschlüssen der Gothaer Landesversammlung gehörten u.a. die entschädigungslose Enteignung des ehemaligen Herzog Carl Eduard (mit den Stimmen des Bürgertums), eine Schulreform und die Einrichtung einer Arbeiterhochschule.

Die Schulreform umfasste die Entmilitarisierung der Bildung, alle monarchistischen Bilder und Statuen sollten aus den Schulen entfernt werden, sowie die Trennung von Kirche und Schule. Die Arbeiterbewegung hatte stets eine religionsfreie Schule gefordert. Die Maßnahmen lösten starke Proteste im Bürgertum aus. Es kam zu Schulstreiks gegen die Abschaffung des Religionsunterrichts, von Schulgebeten und religiösen Schulfeiern.

„Ich verstehe es nicht, dass nach Gotha 1.200 Soldaten mit Kanonen, Maschinengewehren und Minenwerfern geschickt wurden, wo doch die Bevölkerung in Gotha nicht den geringsten Anlass dazu gegeben hat und die Arbeiterbevölkerung durchaus friedlich war.“

Oberbürgermeister Otto Liebetrau (DDP) im Februar 1919

Otto Geithner spricht am 1. Mai 1919 auf dem Gothaer Hauptmarkt

Quelle: Bildersammlung LATh-StA Gotha

Streik der Arbeiter im Bezirk Halle-Merseburg (Februar/März 1919)

Forderungen:

  • Einsetzung von Betriebsräten mit Kontroll- und Mitbestimmungsrecht durch Regierungsverordnung
  • umgehende Sozialisierung der Bergbau- und Monopolbetriebe
  • Zurücknahme der Verordnung über die vorläufige Regelung der Kommandogewalt

Der rechte Kapp-Lüttwitz-Putsch im März 1920

In den Märztagen 1920 geriet die neue Republik fast an ihr Ende. Der Versailler Friedensvertrag schrieb die Reduzierung der Reichswehrtruppen vor. Ende Februar gab Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) den Befehl, die in Döberitz stationierte Marinebrigade Ehrhardt aufzulösen. Diese hatte die Münchener Räterepublik blutig niedergeschlagen. Aus ihr ging später die Operation Consul hervor, die für politische Morde in der Weimarer Republik verantwortlich war.

Wenige Tage später, am 12. März, marschierten Reichswehrtruppen in Berlin ein. Die demokratisch gewählte Ebert-Bauer-Reichsregierung floh am folgenden Tag. Organisator des Putsches war die Verschwörergruppe „Nationale Vereinigung“ um General Erich Ludendorff, Hauptmann Waldemar Pabst, den kaiserlichen Polizeipräsidenten Traugott von Jagow, den DNVP-Politiker Wolfgang Kapp und den Reichswehrgeneral Walther von Lüttwitz.

Als Reaktion auf den Putsch riefen KPD, USPD, SPD und die Gewerkschaften zum Generalstreik auf. In Gotha bewaffneten sich die Arbeiter und setzten einen Vollzugsrat bestehend aus 40 Vertretern der unterschiedlichen Arbeiterparteien und Gewerkschaften ein. Die Stadt blieb zunächst ruhig. Das rechtsstehende Bürgertum begrüßte den Putsch, benachrichtigte die Reichswehr in Erfurt und sammelte eine Bürgerwehr, die sogenannte Gothaer „Sturmkompanie“, in der Kaserne.

Am 14. März 1920 marschierte die Reichswehr in Gotha ein und gab den ersten Schuss ab. Der getroffene Arbeiter starb. Befehlshaber Major Walter Heims bekannte sich zur Kapp-Regierung in Berlin und versuchte die demokratisch gewählte USPD-Landesregierung abzusetzen. Die Reichswehr schoss außerdem in eine vor der Post demonstrierende Menschenmenge: zwei Menschen starben. Daraufhin eskalierte die Lage. Es kam zu den blutigsten Kämpfen in Thüringen, in deren Folge 127 Menschen starben. Am Ende waren sechs linksradikale und zwischen 41 bis 47 rechtsradikale Morde zu verzeichnen. Die rechte Gewalt überwog bei Weitem.

Die Ursache für die Ereignisse in Gotha lagen in dem brutalen Vorgehen der Reichswehr und dem rechtsradikalen Putsch in Berlin, nicht, wie in der Literatur oft angegeben, bei der linken Regierung in Gotha. Eine Deeskalation konnte nicht erreicht werden, da Reichswehr und Freikorps nicht verhandlungsbereit waren bzw. die Demokratie aushebeln wollten. Erschwerend kam hinzu, dass Gotha zu dieser Zeit keinen Oberbürgermeister hatte und der 2. Bürgermeister Karl Krug im Rathaus nicht anzutreffen war. Einzig die Polizei unter Max Gisohn und einige DDP-Politiker versuchten zwischen den Parteien zu vermitteln. Linksradikale Kräfte gab es ebenso, allerdings waren sie in der Minderheit und wurden stets durch die USPD-Landesregierung ausgebremst. Die Kämpfe endeten am 19. März 1920.

Anschließend kam es zur militärischen Besetzung Gothas und zur Reichsexekution. Die Reichswehr verhaftete Hunderte von Arbeitern und keinen Einzigen der Putschisten in Gotha. Dieses von der Arbeiterschaft als ungerecht empfundene Vorgehen führte letztendlich dazu, dass Ende 1920 nahezu der gesamte USPD-Ortsverein der KPD beitrat, die zuvor in Gotha nur wenige Dutzend Mitglieder hatte. Der Generalstreik der Arbeiter in Deutschland hatte die Demokratie vorerst gerettet.

Das rechtsradikale Marburger Studentenkorps verübte am 25. März 1920 ein Massaker an 15 gefangenen Arbeitern aus Bad Thal bei Mechterstädt. Der anschließende Prozess wurde zu einem der größten Justizskandale der Weimarer Republik, in dem alle beteiligten Studenten freigesprochen wurden.

Alle diese Ereignisse führten dazu, dass Bürgertum und Arbeiterschaft sich in der Zukunft oft unversöhnlich gegenüberstanden.

Gründung des Landes Thüringen

Während der politisch unruhigen Zeiten wurde an der Vereinigung der thüringischen Staaten und einer neuen Thüringer Verfassung gearbeitet. Ende 1918 nahmen die Regierungen der ehemaligen Thüringer Herzogtümer Verhandlungen zum Zusammenschluss unter Einbeziehung auch der preußischen Gebiete (Erfurt, Suhl usw.) auf. Der Freistaat Preußen war nicht bereit, seine Gebiete abzutreten. Das Landesgebiet Coburg des ehemaligen Herzogtums Sachsen, Coburg und Gotha stimmte bei einer Volksabstimmung am 30. November 1918 für den Anschluss an Bayern.

Dennoch gelang die Einigung der anderen Freistaaten per Reichsgesetz am 30. April 1920.

Am 1. Mai 1920 wurde das Land Thüringen als offizieller Gründungstag ausgerufen. Am 20. Juni 1920 fand die Wahl zum ersten Thüringer Landtag statt. Das Ergebnis brachte eine Minderheitsregierung der MSPD und DDP unter Duldung der USPD. Vorsitzender der Landesregierung wurde Arnold Paulssen (DDP). Staatsrat für Gotha wurde Hermann Anders Krüger (DDP). Die DDP hatte bei den Wahlen massive Stimmverluste zu beklagen. Das Bürgertum orientierte sich im weiteren Verlauf immer mehr an den rechtsstehenden Parteien.

1920 bis 1921 regierte die einzige Koalition einer Arbeiterpartei (SPD) mit einer bürgerlichen Partei (DDP) in Thüringen. Dies sollte im Nachfolgenden nicht noch einmal gelingen. Der Verdienst dieser Regierung war die Einigung der ehemaligen Herzogtümer zum neuen Land Thüringen und die damit verbundene Vereinheitlichung der Verwaltung. Am 11. März 1921 wurde die von dem DDP-Politiker Eduard Rosenthal entworfene Verfassung des Landes Thüringen verabschiedet.

In Gotha wurde nach dem Kapp-Putsch die Gothaer Landesversammlung aufgelöst. Am 30. Mai 1920 fanden Neuwahlen statt. Die USPD verlor ihre absolute Mehrheit, konnte aber nach wie vor die meisten Stimmen erlangen. Die Gothaer DDP verlor nahezu 10 Prozentpunkte. Zugewinne verzeichnete vor allem die DVP. Eine Regierungsbildung kam nicht zustande und die USPD-Fraktion (ab Ende 1920 KPD) verließ den Gothaer Landtag. Erst im März 1921 brachten erneute Wahlen ein eindeutiges Ergebnis. Der sogenannte Gothaer Heimatbund (ein Bündnis aus Bauernbund, DVP, DNVP und DDP) erreichte die Mehrheit und übernahm die Regierung.

Wahlergebnisse 1. Thüringer Landtag am 20. Juni 1920 (Gesamtthüringen)

Der mitteldeutsche Aufstand 1921

Da die wirtschaftlichen Verhältnisse und damit die Lebensbedingungen sich zusehends verschlechterten, kam es im März 1921 im mitteldeutschen Industriegebiet zu andauernden Streiks, Diebstählen und Konfrontationen zwischen Polizei und Arbeitern. Am 19. März 1921 marschierten, ausgelöst von einem Anschlag auf die Siegessäule in Berlin, Polizeieinheiten nach Mansfeld und Eisleben. Daraufhin rief die KPD am 21. März zum Generalstreik auf, um einen Aufstand der Arbeiter zu provozieren. Der Anarchist Max Hölz (er stammte aus dem Vogtland) rief zur Gewalt auf, ließ die Arbeiter bewaffnen und in Gruppen organisieren. Sprengstoffattentate auf Eisenbahnschienen, Brandstiftungen und Plünderungen folgten. Der Aufstand begann sich auch in der Provinz Sachsen und Hamburg auszubreiten. Daraufhin erklärte Reichspräsident Friedrich Ebert den Ausnahmezustand.
Der Generalstreik erfasste den Rest Deutschlands nicht. Nur in einigen Teilen von Thüringen, dem Ruhrgebiet und der Lausitz gab es vereinzelte Aktionen.

Ende März waren die Aufstände in Mitteldeutschland blutig niedergeschlagen.

Ab dem 26. März streikten auch im KPD-dominierten Gotha die Arbeiter aller großen und mittelgroßen Betriebe, des Strom- und Gaswerkes, sowie der Straßenbahn. Das Motto war „Arbeit und Brot für alle!“. Am Ostersonnabend demonstrierte eine Menge vor dem Gerichtsgefängnis.   100 Gefangene begannen eine Meuterei. Das Bewachungspersonal bestand aus nur vier Personen. 31 Gefangene ergriffen die Flucht. Darunter waren nicht nur zu Unrecht festgehaltene Arbeiter, die nach dem Kapp-Putsch inhaftiert wurden, sondern auch Mörder. Auf den Straßen Gothas wurden Personen von bewaffneten Arbeitern kontrolliert. Die Aktionen griffen auf die größeren Orte im Landkreis, wie Waltershausen, Friedrichroda und Ohrdruf, über. Bürgerliche Einwohnerwehren bildeten sich in anderen Dörfern. Die Lage schien zu eskalieren, wurde aber durch den Einmarsch der Reichswehr in Ohrdruf und den Abbruch des Streiks in Mitteldeutschland eingedämmt. Die nur wenige Hundert Mitglieder umfassenden Ortsvereine der USPD und SPD sowie die Gewerkschaften hatten den Generalstreik und Umsturzphantasien der KPD nicht unterstützt. Die Aktionen der Kommunisten in Jena, Eisenach und Weimar verliefen im Sande.

Die Wiedervereinigung der USPD mit der MSPD

Im Juni 1922 bildeten die Reichstagsfraktionen der USPD und MSPD eine gemeinsame Arbeitsgruppe und erarbeiteten ein Aktionsprogramm zur Wiedervereinigung der USPD mit der MSPD. Grund für die Annäherung waren die politischen Schwierigkeiten der Weimarer Republik und die Bedrohung von rechts. Der Politiker Matthias Erzberger (Zentrum) fiel am 26. August 1921 einem Attentat zum Opfer. Walther Rathenau (DDP) wurde am 24. Juni 1922 ermordet. Die Täter kamen aus dem rechtsradikalen Milieu. Überall in Deutschland kam es anschließend zu großen gemeinsamen Demonstrationen von DDP, SPD, USPD, KPD und Gewerkschaften.

Im Vorfeld des Vereinigungsparteitages veranstalteten USPD und SPD noch je einen eigenen Parteitag. Die Verhandlungen der USPD fanden vom 20. bis 23. September 1922 in Gera, und die der SPD vom 17. bis 23. September 1922 in Augsburg statt.

Der Vereinigungsparteitag der USPD und MSPD wurde am 24. September 1922 im Hercules-Velodrom in Nürnberg eröffnet. Auf dem Parteitag übernahmen Wilhelm Pfannkuch (SPD) und Wilhelm Bock (USPD) das Alterspräsidium. Sie wurden stürmisch bejubelt. Als sie zum Vorstandstisch kamen, legte Emil Fischer (SPD) ihre Hände symbolisch für die Einheit ineinander. Für Wilhelm Bock war dies sicher ein erhebender Moment. Der Veteran der Gothaer Arbeiterbewegung hatte den Aufstieg der Partei in Gotha und Thüringen maßgeblich vorangebracht. Er hatte während der Zeit des Sozialistengesetzes für das Überleben und Weiterarbeiten der Organisation gesorgt. Er hatte sowohl die Einigung 1875, die Spaltung 1917 und das Überwechseln der Gothaer USPD zur KPD 1920 miterlebt. Jetzt konnte er einen Teil der USPD in die SPD zurückbegleiten. Wilhelm Bock starb im Sommer 1931 in Bad Sulzbach. Seine Trauerfeier in Gotha gestaltete sich zu einem Demonstrationszug durch die Stadt.

Ein kleiner, unbedeutender Teil der USPD existierte weiter und organisierte sich ab 1931 in der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP).

Rede von Emil Fischer zur Eröffnung des Vereinigungsparteitages der SPD

Nürnberg, 1922

Rede von Wilhelm Bock zum Vereinigungsparteitag der SPD, Nürnberg 1922

(nachgesprochen)

Wilhelm Bock

Quelle: Bildersammlung LATh-StA Gotha

Das Krisenjahr 1923

Im Juni 1921 wurde der 1. Thüringer Landtag aufgelöst. Der Grund war, dass die KPD ihre Zustimmung zum Grund- und Gewerbesteuergesetz verweigerte. Die KPD hatte durch den Beitritt eines Teils der USPD erhebliche Mitgliederzuwächse erhalten. Bei der Wahl zum 2. Thüringer Landtag am 11. September 1921 war wieder die SPD die stärkste Partei. Die neue Regierung bestand aus einer Minderheitsregierung aus USPD und SPD, die von der KPD toleriert wurde. Zuvor gab es heftige Diskussionen über den Eintritt der KPD in die Regierung. Der Unterbezirk Gotha und Suhl befürworteten die Beteiligung an einer Arbeiterregierung. Die Zentrale und damit der Bezirksvorstand der KPD Großthüringen lehnten diese dagegen ab. Der Sekretär der Bezirksleitung war von April 1921 bis Januar 1923 Walter Ulbricht, der nach 1946 Vorsitzender des Zentralkomitees der SED werden sollte.

Die Regierung setzte umfangreiche Reformen in der Bildung und Verwaltung durch. Ziel war eine Demokratisierung der Verwaltung. Die Beamten wurden von der Kaiserzeit übernommen und waren oft keine Republikbefürworter. Der Volksbildungsminister Max Greil (USPD) setzte sich für die Einheitsschule und die Verlegung der Lehrerbildung an die Universität ein. Jedes Kind sollte gleiche Bildungs- und damit Aufstiegschancen haben. Seine Politik der Trennung von Kirche und Schule führte zu harten Auseinandersetzungen mit dem Bürgertum. Seine Reformpolitik legte den Grundstein zur Modernisierung der Bildung in Thüringen.

Das Jahr 1923 war geprägt von Krisen. Im Januar 1923 besetzten französische Truppen unter dem Vorwurf,Deutschland würde seinen Reparationszahlungen nicht nachkommen, das Ruhrgebiet. Damit fiel mehr als die Hälfte der deutschen Kohlen- und Eisenproduktion weg. Die Reichsregierung unter Wilhelm Cuno (parteilos, geboren in Suhl) beschloss den passiven Widerstand und die Einstellung der Reparationszahlungen. Die wirtschaftliche Lage spitzte sich infolgedessen derartig zu, dass die Inflation immer weiter anstieg und Arbeiter, Klein- und Sozialrentner und andereuntere soziale Gruppen ins tiefe Elend stürzten. Die Arbeitslosigkeit nahm rapide zu. Es folgten große Demonstrationen der Arbeiterschaft in ganz Thüringen, darunter auch Frauenkundgebungen, wie etwa am 25. Januar 1923 mit 700 Arbeiterfrauen in Jena.

Im August wurde mehrfach zum Streik gegen die Cuno-Regierung in Berlin aufgerufen. Die Streiks überall in Deutschland führten schließlich zum Rücktritt des Reichskanzlers am 12. August 1923. Sein Nachfolger wurde Gustav Stresemann (DVP). Er brach den passiven Widerstand im September ab und verhängte den Ausnahmezustand über Deutschland.

Am 11. September 1923 stimmte die KPD im Landtag von Thüringen einem bürgerlichen Misstrauensantrag gegen die Regierung der SPD/USPD zu. Es kam aber nicht zur Landtagsauflösung und damit zur Neuwahl. Nach zähen und schwierigen Verhandlungen kam eine Arbeiterregierung zustande. Am 16. Oktober 1923 verabschiedeten die Parteien ein gemeinsames Regierungsprogramm. August Frölich (SPD) blieb leitender Staatsminister in Thüringen. Am 10. Oktober 1923 hatte sich ebenso eine Arbeiterregierung in Sachsen gebildet.

Parteimitglieder in Thüringen, 1923

KPD
243 Ortsvereine, 15.147 Mitglieder

SPD
485 Ortsvereine, 38.907 Mitglieder

ADGB
106 Ortsausschüsse, 254.143 Mitglieder

Ausnahmezustand in Thüringen November 1923

Derweil wuchs in Bayern die Gefahr eines rechtsradikalen Putsches. Hier sammelten sich unter Duldung der bayrischen Regierung Wehrverbände und rechtsextreme Formationen, um über das „rote Mitteldeutschland“ nach Berlin zu marschieren. Vorbild war der Marsch des faschistischen Benito Mussolini auf Rom 1922. Die Arbeiterschaft in Thüringen bildete hierauf einen proletarischen Selbstschutz: die Hundertschaften der KPD und die republikanische Notwehr. Der linke Flügel der SPD Thüringen, wie August Frölich, unterstützte den Selbstschutz, der rechte Flügel des Parteivorstandes mit Hermann Leber und Georg Dietrich lehnte diesen ab.

Am 29. Juli 1923 wurden im Rahmen eines Antifaschistentages große Demonstrationen in Thüringen durchgeführt. Tausende nahmen in Gotha, Meiningen und Jena an den Veranstaltungen teil.

In Gotha fand am 9. September 1923 ein sogenannter Deutscher Tag rechter Verbände statt. Das war eine Provokation für die Arbeiterschaft, die zeitgleich ein Treffen der Leiter der thüringischen Hundertschaften veranstaltete. Am 13. Oktober wurde ein sogenanntes Ermächtigungsgesetz verabschiedet. General Reinhardt hatte in Thüringen bereits am 6. Oktober die proletarischen Hundertschaften verboten. Anfang Oktober kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in Meiningen mit drei toten Arbeitern und in Erfurt mit einem Toten.

Die KPD-Zentrale in Berlin sah den Zeitpunkt für einen Aufstand und Umsturz gekommen. Hermann Brill (SPD, später 1. Regierungspräsident von Thüringen) als Mitarbeiter im Innenministerium, hier zuständig für die Polizei, wurde aktiv in der Auflösung der Hundertschaften, um einen Aufstand zu verhindern. Die SPD lehnte nicht grundsätzlich den Selbstschutz vor den faschistischen Verbänden in Bayern ab. Sie sah nur ebenso die Gefahr eines kommunistischen Aufstandes. Auch die Gewerkschaften unterstützten die Pläne der KPD nicht.

Am 6. November 1923 wurde der Ausnahmezustand über Thüringen ausgerufen. Im Zuge dessen kam es zu Hundertenvon Verhaftungen, darunter auch Abgeordnete des Thüringer Landtages unter Missachtung ihrer Immunität. Die Arbeiterregierung aus SPD und KPD zerfiel durch den Rücktritt der beiden KPD-Minister am 12. November 1923. Die SPD regierte noch als Rumpfparlament weiter. Im Dezember 1923 wurde der Thüringer Landtag aufgelöst.

Eine Arbeiterregierung gab es auch in Sachsen, wo es aufgrund der Umsturzvorbereitungen der KPD zur Verhängung der Reichsexekution kam. Als Skandal kann die Ungleichbehandlung von rechten und linken Akteuren gesehen werden. Denn während Thüringen und Sachsen durch Einmarsch der Reichswehr teils brutal befriedet wurde, kam es in Bayern nicht zur Reichsexekution. In Bayern hatte am 8. und 9. November 1923 die NSDAP mit Adolf Hitler und Erich Ludendorff einen Putschversuch gestartet. Der Plan war es, mit Hilfe der rechtskonservativen bayrischen Landesregierung die Reichsregierung in Berlin zu stürzen.

Relative Stabilität ab 1924

Bei der Wahl zum Thüringer Landtag am 10. Februar 1924 kam eine Minderheitsregierung, bestehend aus dem Thüringer Ordnungsbund, einem Bündnis aller bürgerlichen Parteien, zustande. Diese konnte nur, und das erstmals in Deutschland,mit der Tolerierung der Völkischen Liste regieren. Diese setzte sich aus Mitgliedern der nach dem Hitlerputsch verbotenen NSDAP und anderen rechtsradikalen Kräften zusammen. Die Völkische Liste stellte für ihre Unterstützung Bedingungen. Der Fraktionsvorsitzende Artur Dinter forderte die Absetzung des jüdischen Thüringer Staatsbankpräsidenten Walter Loeb und die Aufhebung des Verbotes der NSDAP. In Weimar fand 1926 der erste Reichsparteitag der NSDAP nach dem Verbot statt.

Die Regierung machte außerdem mehrere moderne Reformen der Vorgängerregierung rückgängig. Zum Beispiel wurde die erziehungswissenschaftliche Fakultät an der Universität in Jena aufgelöst, wie auch die Streichung der Gelder für die moderne Kunstschule Bauhaus von Walter Gropius umgesetzt. Letztere führte zur Abwanderung des Bauhauses nach Dessau.

Am 20. Juni 1926 gab es das Volksbegehren gegen die Fürstenabfindung, das von KPD und SPD ins Leben gerufenworden war. Die erforderliche Anzahl der Stimmen für die Annahme eines Gesetzesentwurfes konnte nicht erreicht werden. Die DDP in Thüringen gab keine Empfehlung für die Abstimmung. Allerdings unterstützte der Ortsverein in Gotha, weil das Verhalten des letzten Herzogs „maßlos eigensüchtig“ war, die Initiative. Die Beteiligung am Volksbegehren in Gotha war im Vergleich überdurchschnittlich hoch.

Im Februar 1924 wurde der Verband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold von SPD, Zentrum und DDP gegründet. Es handelte sich um einen politischen Wehrverband zum Schutz der demokratischen Republik. Der Ortsverein in Gotha umfasste rund 100 Mitglieder. Im selben Jahr entstand der Rote Frontkämpferbund der KPD als Nachfolger der Proletarischen Hundertschaften. Beide Bünde dienten zum Schutz von Personen und Versammlungen, wie auch dem Schutz bei Demonstrationen. Der Rote Frontkämpferbund (RFB) stand als Organisation der KPD im Verdacht, zusammen mit der Partei den Umsturz vorzubereiten. Im März 1926 hatte der RFB-Unterbezirk Gotha 1460 Mitglieder.

Die DDP rief außerdem Ende der 1920er Jahre zur Bildung einer „Republikanischen Notwehr“ zur Abwehr der Faschisten auf.

Bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 22. Februar 1925 hatte der Bürgerbund Verluste zugunsten der Völkischen Liste hinzunehmen. Auch hier waren die Bürgerlichen bei Umsetzung von Maßnahmen auf die Stimmen der Rechtsradikalen angewiesen. Die Landes- und Kommunalpolitik der folgenden Jahre war von der Konsolidierung des Haushalts bestimmt. Die Wirtschaft erholte sich langsam. Dennoch führte die Einführung von Steuern und Abgaben zu stetem Streit zwischen den Parteien.

Warum war die Beteiligung von Rechtsradikalen an der Regierung von Thüringen oder in einem Kommunalparlament problematisch? Die Völkische Liste konnte so einige ihrer Programmpunkte durchsetzen, rassistische Diskriminierung „salonfähig“ machen und positive Ergebnisse der Regierung für sich verbuchen. Die NSDAP lehnte alle außenpolitischen Erfolge zur Reparationsfrage und den Beitritt Deutschlands zum Völkerbund 1926 ab. Damit boykottierte und untergrub sie alle Bemühungen um Frieden und Völkerverständigung. In der Summe gab man der NSDAP eine öffentliche Bühne und die Möglichkeit zum Ausbau ihrer Macht.

Arbeitslosenversicherung und Weltwirtschaftskrise

Am 16. Juli 1927 wurde das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung verabschiedet und eine entsprechende Reichsanstalt geschaffen. Die Zusammenfassung beider Bereiche ist bis heute Aufgabe der Arbeitsämter.

Für das Gesetz hatte die Sozialdemokratie seit 1923 parlamentarisch gekämpft. Kommunisten, Nationalsozialisten und einige DNVP-Politiker lehnten das Gesetz ab.

Die Einführung kam im Vergleich zu anderen europäischen Ländern spät. Großbritannien hatte seit 1911 eine solche Versicherung. In Deutschland wurde bis dahin die Arbeitsvermittlung privat oder durch die Gewerkschaften organisiert. Mitunter wurden hierfür kommunal Unterstützungen gezahlt. Ab 1916 gab es eine Arbeitspflicht, die durch das Hilfsdienstgesetz geregelt wurde. Vier Jahre später wurde das Reichsamt für Arbeitsvermittlung eingerichtet und 1922 trat das Arbeitsnachweisgesetz in Kraft. Die Arbeitsvermittlung blieb Aufgabe der Kommunen. Im Oktober 1923 wurde eine Beitragspflicht zur staatlichen Erwerbslosenfürsorge eingeführt. Allerdings bestand Pflichtarbeit, d. h. eine Unterstützung gab es nur, wenn der Erwerbslose eine Gegenleistung lieferte. Das widersprach der Verfassung, die das „Recht auf Unterhalt“ bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit gewährte.

Das Gesetz von 1927 wurde aber schon bald durch die Weltwirtschaftskrise ausgehöhlt. Am 23. Oktober 1929 löste der Börsencrash in den USA eine weltweite Krise aus. In Europa kam der Zusammenbruch einen Tag später an. Dem Verlust der Geldanlagen folgten zahlreiche Insolvenzen. Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland schossen in die Höhe, die Menschen litten Hunger und waren verzweifelt. Die Arbeitslosenversicherung war finanziell stark überlastet. In der Folge wurden die Beiträge stark angehoben und die Leistungen gekürzt.

Arbeitsamt Gotha

Quelle: Sammlung Matthias Wenzel

Aus der Verfassung der Weimarer Republik

Art. 163. Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert. Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. Das Nähere wird durch besondere Reichsgesetze bestimmt.“

Unterstützungsempfänger in Gotha

(ohne Kurzarbeiter)

Oktober 1921 184
Juni 1923 590
Dezember 1923 1.643
Dezember 1924 923
Dezember 1925 1.196
1927 1.044
1929 1.935
1930 3.218
1932 4.416

Wer bekam was?

Arbeitswillige, Arbeitsfähige und unfreiwillig Arbeitslose erhielten bei Beitragszahlung von mindestens 26 Wochen bei einer Tätigkeit im Vorjahr eine Unterstützung von 26 Wochen. Sie waren also Versicherte und keine Fürsorgeempfänger mehr.

Machtergreifung von Rechts

1930 wurde zum Schicksalsjahr in Thüringen. Die Wahl zum Thüringer Landtag am 8. Dezember 1929 brachte eine Mehrheit der rechten Parteien. Um die anderen Parteien von der Regierungsbeteiligung zu überzeugen, kam am 10. Januar 1930 Hitler nach Weimar. Am 23. Januar 1930 wurde das Kabinett unter Führung von Erwin Baum (Thüringer Landbund), eine Koalition von Thüringer Landbund, NSDAP, Wirtschaftspartei, DNVP und DVP, vorgestellt. Einer der ernannten Minister war der Nationalsozialist Wilhelm Frick. Er übernahm als erster Nationalsozialist in Deutschland den Posten eines Staatsministers. Sein Ressort wurde Inneres und Volksbildung. Die Arbeiterparteien protestierten sofort erfolglos gegen seine Ernennung, da er am Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 beteiligt war. Frick nutzte seine Position, um ihm missliebige, aber demokratisch gewählte KPD-Politiker auf Kommunalebene zu entfernen. Außerdem entließ er Lehrer oder Beamte, die den Arbeiterparteien angehörten. Er durchsetzte die Verwaltung und Polizei mit Nationalsozialisten, also Republikgegnern. Seine Personalpolitik in der Polizei führte zur Sperrung der Reichszuschüsse durch Carl Severing (SPD), was später wieder aufgehoben wurde. Er berief den Rasseforscher und Rassisten Hans F.K. Günther an die Universität Jena. Frick verbot alle Filme und Theaterstücke mit pazifistischen Inhalten und entfernte moderne Gemälde aus Kunstsammlungen. Der Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque wurde aus allen Schulen entfernt. Seine Maßnahmen schränkten also die Meinungsvielfalt und -freiheit ein. Von ihm verfasste antisemitische und verfassungswidrige Schulgebete wurden an den Schulen verteilt.  Außerdem versuchte er Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft zu beschaffen, indem er ihn zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen ernennen wollte.

Nach mehreren Versuchen der KPD und SPD gelang am 1. April 1931 durch einen Misstrauensantrag der SPD gegen Frick und den Staatsrat Willy Marschler (ebenso NSDAP) die Absetzung. Die Zustimmung erfolgte durch die KPD, die Deutsche Staatspartei (vormals DDP) und DVP. Letztendlich unterstützte die bürgerliche DVP den Antrag, weil diese durch die Nationalsozialisten, obwohl beide in einer Koalition waren, permanent öffentlich angegriffen wurde. Die SPD tolerierte die danach entstandene Minderheitsregierung der Bürgerlichen: ein Novum in der Thüringer Landespolitik. Sie forderte dafür die Rücknahme der Maßnahmen Fricks und die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zu Fricks Polizeimaßnahmen und über die versuchte Einbürgerung Hitlers. Der Ausschuss zur Untersuchung der Einbürgerung Hitlers wurde durch den ehemaligen Gothaer Sozialdemokraten Hermann Brill geleitet, der Hitler mutig öffentlich angriff.

Der Thüringer Landtag wurde im Juli 1932 aufgelöst, weil die SPD u. a. der Besteuerung der Konsumvereine nicht zustimmen wollte. Bei der Neuwahl Ende Juli erhielt die NSDAP mit 42,5 % der Stimmen einen Massenerfolg. In Gotha erreichte sie die absolute Mehrheit. Es kam eine Regierung der NSDAP mit dem Thüringer Landbund und der DNVP zustande. Die NSDAP verzeichnete aufgrund ihrer lautstarken Politik ohne Ergebnisse bei den folgenden Wahlen Ende 1932 Stimmverluste, die aber keine Wende mehr brachten. In Gotha erhielt die Partei bei der Wahl zum Thüringer Landtag am 31. Juli 1932 noch 36,5 % der Stimmen, bei der Stadtverordnetenwahl am 4. Dezember 1932 nur noch 22,3%.

Derweil regierten im Reich Präsidialkabinette. Reichspräsident Paul von Hindenburg ermächtige aufeinanderfolgend die Reichskanzler Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher mittels Notverordnungen ohne den Reichstag zu regieren. Die Demokratie wurde immer mehr geschwächt. Am 30. Januar 1933 erfolgte die Machtübergabe durch Hindenburg an Adolf Hitler. Die Weimarer Republik hatte ihr Ende gefunden.

Seit 1928 hatten die Nationalsozialisten zwei Sitze in der Gothaer Stadtverordnetenversammlung.  1930 wurde Fritz Schmidt als Staatskommissar eingesetzt, weil die Stadtverordnetenversammlung sich nicht über den Haushalt einigen konnte. Schmidt trat 1932 der NSDAP bei und wurde zum Oberbürgermeister der Stadt. Am 11. Mai 1930 wurde eine neue Stadtverordnetenversammlung gewählt. Die NSDAP erhielt 18,2 % der Stimmen. Zweitstärkste Fraktion wurden die Kommunisten. Es bildete sich eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus NSDAP, DVP, DNVP und Wirtschaftspartei. Der Anfang der 1930er Jahre war gekennzeichnet von Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Bestraft und inhaftiert wurden nur die Kommunisten. Am 20. Mai 1932 kam es zu einer großen Demonstration von Erwerbslosen in Walterhausen. Der Arbeiter Oskar Kaufmann wurde gezielt durch einen Kopfschuss getötet, vier weitere Personen, darunter ein neunjähriger Junge, wurden schwer verletzt.

Die bürgerlichen Parteien hatten die NSDAP an der Regierung beteiligt. Einige bürgerliche Politiker hofften so, dass die NSDAP zeigen würde, dass sie bei der Übernahme von Verantwortung und professionellen Regieren versagen würde. Die Folge wäre ein Stimmenverlust, was auch so eintrat. Aber der NSDAP waren durch die Regierungsbeteiligung alle Türen zur Umformung der Gesellschaft und der Gesetze in die Hand gegeben. Sie nutzte diese Macht zur Abschaffung der Demokratie und Errichtung einer Diktatur.

„Er (Hitler) erschien mir damals als ein hysterischer Brutalist, ungebildet, zynisch, durch und durch unwahrhaftig, arrogant, unbeherrscht, bereit, jeden anderen physisch oder moralisch niederzuschlagen (…) Das ganze Gesicht steckte voller Widersprüche, Brutalität, Sentimentalität; niedriges intellektuelles Niveau, Hysterie, maßloser Zynismus und Herrschaft spielten auf ihm hin und her. (…) Am 14. März 1932 fasste ich den Entschluss, mich diesem Mann zu widersetzen, zu jederzeit, überall, unter allen Umständen und mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln“

Hermann Brill

Quelle: AdsD

Hermann Brill, Beschreibung seiner Begegnung mit Hitler beim Untersuchungsausschuss zur  Einbürgerung von Hitler durch Frick (aus Hermann Brill „Gegen den Strom“ 1946)

Rede von Wilhelm Bock auf dem SPD-Parteitag in Leipzig, 1931

„Für eine nach den Grundsätzen der Gleichheit und Solidarität errichtete Gesellschaft. Auf und vorwärts zum Menschentum!“
(nachgesprochen)

Wilhelm Bock

Quelle: Bildersammlung LATh-StA Gotha

Erster Weltkrieg

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